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Das MoSCoW-Prinzip – Schwaches Akronym, starke Methodik

Alles ist wichtig! Also gar nichts. Oder wie?

Sie wollen einen innovativen Saugroboter auf den Markt bringen? Einen neuen Produktionsstandort planen? Oder einen Webshop für Büroartikel erfolgreich im Netz etablieren? Egal, was Sie vorhaben, alle diese Vorhaben sind ziemlich komplexe Projekte. Deshalb brauchen sie Struktur und Prioritäten, um erfolgreich voranzuschreiten und Menschen mit dem Ergebnis zu begeistern

Die besondere Herausforderung: Es gibt meistens viele Stakeholder, die mehr oder weniger berechtigte Interessen an dem Projekt haben und damit eigene Prioritäten äußern. Jeder meint: „Meine Ansprüche sind sehr wichtig!” Das Problem dabei: Wenn alles wichtig ist, dann ist nichts wichtig. Wie gehen Sie also damit um?

Das MoSCoW-Prinzip – von unverzichtbar nach irrelevant

Die Methode beschreibt grundsätzlich ein 4-stufiges Verfahren, um komplexe Anforderungen zu priorisieren. Erfinder ist der Software-Experte und Autor Dai Clegg, der dieses Prinzip bei Oracle etabliert hat, um den Prozess agiler Software-Entwicklung zu unterstützen.  

Die Buchstaben-Kürzel stehen für „Must have”, „Should have”, „Could have” und „Will not have” – zumindest ist das die häufigste Interpretation. Zugegeben, das Akronym ist ziemlich bemüht, denn die kleinen „o”s haben keine weitere Bedeutung. Dadurch wird das Prinzip aber keinesfalls schlechter.

Hier werden die 4 Stufen des Modells dargestellt: Muss sein (Must have), Sollte sein (Should have), Könnte sein (Could have) und Wird nicht passieren (Won’t have)
Prioritäten setzen mit dem MoSCoW-Prinzip

Im Sinne einer Priorisierung haben die Stufen folgende Bedeutung:

  • Must have = Muss alternativlos umgesetzt werden.
    Essenzielle, unverzichtbare, „überlebenswichtige” Anforderungen oder Funktionalitäten. 
  • Should have = Sollte berücksichtigt werden.
    Wichtige, sehr nützliche Anforderungen oder Funktionalitäten, aber kurzfristig eben nicht „lebenswichtig” (mittel- bis langfristig werden diese Features in die Muss-Kategorie aufsteigen).
  • Could = Könnte einen Mehrwert bieten.
    Interessant, nice-to-have, aber kein Problem, wenn es zunächst fehlt, sollte mittelfristig nicht aus den Augen verloren werden (auch hier sind viele Aspekte immer im Aufstiegsrennen in die höhere Wichtigkeits-Kaste).
  • Won’t = Wird nicht passieren.
    Kein klarer Mehrwert, im Projekt irrelevant, kann ins Archiv oder vergessen werden.

Andere Interpretationen des Modells sehen hier ein „Would” als Auflösung des letzten Buchstabens im Akronym. Allerdings erkennen wir keine schlüssige Abgrenzung zum Could-Bereich und folgen dem „radikalen” Gedanken, dass manche Ideen konsequent verworfen werden dürfen.

Anforderung dürfen sich dabei nicht widersprechen und damit gegenseitig blockieren. Das gilt bottom-up auch über die Kategorien hinweg. Die Umsetzung eines Soll-Features darf bspw. niemals das Funktionieren einer Muss-Anforderung behindern.

Wo kaufen Sie eigentlich Ihre Radiergummis?

Am Beispiel unseres eingangs erwähnten Webshops für Büroartikel lässt sich die Priorisierung gut veranschaulichen. Denn dieser komplexe Touchpoint hat unzählige Aspekte, die dringend eine Priorisierung brauchen.  

Der Warenkorb ist für einen Webshop ein klares Must have. Ohne dieses unverzichtbare Element kann kein Einkauf abgeschlossen werden. Der Shop wäre dysfunktional und ganz sicher eine frustrierende Experience. Weitere Beispiele entlang einer konventionellen Customer Journey sind die klare Kommunikation der Preise, die Anzeige der Verfügbarkeit der Produkte oder gängige Bezahlmethoden.

Apropos Bezahlung: Das Bezahlen auf Rechnung wird heute immer wichtiger und ist damit ein gutes Should have. Es steht den anderen Zahlungsmethoden nicht im Weg, wäre also so lange entbehrlich, bis es sich als erwartbarer Standard durchgesetzt hat. Deshalb sollte über diese Funktionalität zeitnah nachgedacht werden – solange man damit vielleicht noch einen Unterschied machen kann! Weitere Beispiele für Anforderungen, die man erfüllen sollte: dynamisch individualisierter Content für Stammkunden, Kunden-Testimonials oder einheitlich hochwertig fotografierte Produktabbildungen.

Und wenn wir die Produkte dann gleich noch in einer futuristischen 3D-Ansicht drehen und wenden könnten? Das ist sicherlich beeindruckend und förderlich für das Kundenerlebnis und die Entscheidung für oder gegen Produkte im Sortiment. Trotzdem ist diese Idee vorerst ein Could have, denn die Implementierung ist sehr aufwendig und darf die Performance der Seite nicht schmälern. Werden die Ressourcen anderswo dringender gebraucht oder gibt es technische Bedenken? Dann bitte hinten anstellen.

Oder doch gleich in die Tonne mit der Anforderung? Wir reden hier teilweise über Radiergummis, Druckerpapier oder Kugelschreiberminen. Welchen Mehrwert soll das hinsichtlich einer User Experience wirklich haben? “Won’t have!” ruft der IT-Verantwortliche. „Aber was ist mit Bürostühlen, Druckern und Kaffeevollautomaten?”, darüber sollte man mindestens mal nachdenken, meint die Vertriebsabteilung. Das macht den Touchpoint Webshop sicher interessanter und kann auch im Sinne des Marketing als Mehrwert vermittelt werden.

Wer legt die Prioritäten fest?

Grundsätzlich können alle Stakeholder, die in den Prozess der Priorisierung integriert werden, sinnvoll Einfluss nehmen. Am Beispiel der Produktpräsentation ist dies gut zu erkennen: Marketing, Produktmanagement, Vertrieb, IT oder Entwicklungsabteilung und nicht zuletzt die Geschäftsführung – sie alle haben eine Meinung dazu, welche Aspekte und Funktionalitäten besonders wichtig sind, um den Kunden am digitalen Touchpoint zu begeistern. Aber Achtung: viele Köche, viel Brei!

Haben wir wen vergessen? Ach ja! Im Sinne eines User Centered Designs sollten Sie vor allem Kund:innen oder Benutzer:innen hören und zu Wort kommen lassen. Denn wenn Sie als Experience-, Marketing- oder Produkt-Verantwortliche deren Prioritäten und Anforderungen nicht berücksichtigen, laufen Sie schnell Gefahr, an den Bedürfnissen der Zielgruppen vorbei zu arbeiten. Klingt logisch, wird aber gerne mal vergessen oder unter den Teppich gekehrt.

Vor- und Nachteile der Methode

Das MoSCoW-Prinzip ist einfach anzuwenden und leicht verständlich zu erklären. Mit den vier Stufen ist es übersichtlich und klar strukturiert. Es ist hervorragend geeignet, um Anforderungen zu sammeln und in eine erste Reihenfolge zu bringen.

Gleichzeitig ist das Arbeitsmodell etwas grob und in bestimmten Kontexten wahrscheinlich zu unspezifisch. Die Abgrenzungen der Stufen sind oft fließend oder schwer objektiv zu bewerten. Es bleibt für Sie trotz der strukturierten Herangehensweise die Herausforderung, dass sich zu viele Anforderungen in die Must haves drängeln. 

Sie können dem gut entgegenwirken, indem Sie weitere Aspekte wie personelle Ressourcen, Zeit und Budgets in die Gewichtung der Anforderungen und Ideen aufnehmen. Ein gutes „Add-on” zur Methode ist das Time-Boxing: Was können Sie und Ihr Team in einer bestimmten Zeit umsetzen und welche Priorisierung kann daraus abgeleitet werden? Welche Anforderungen müssen Sie als Experience-Manager in „Häppchen” servieren, um kleine, aber kontinuierliche Verbesserungen der Experience zu ermöglichen?

Eine weitere Herausforderung, die jedes komplexere Szenario mit sich bringt: Prioritäten können sich sehr schnell verschieben. Einstellungen und Rahmenbedingungen ändern sich, Technologien entwickeln sich weiter, Projektbeteiligte scheiden aus usw. Verbindlichkeit lässt sich aus der Methodik nicht zwingend ableiten, gleichzeitig kann man auf Veränderungen schnell reagieren.

Fazit

Egal, ob Sie die unkomplizierte Reinigung der Wohnung in Aussicht stellen, einen modernen Arbeitsplatz einrichten wollen oder ein unkompliziertes Einkaufserlebnis präsentieren möchten: Im Zentrum all dieser Überlegungen stehen Menschen, die Ihre Produkte oder Dienstleistungen nutzen möchten.

Welchen Beitrag können Sie also für das Experience Management leisten, indem Sie Anforderungen richtig priorisieren? Um Menschen zu Hause, am Arbeitsplatz oder beim Shopping glücklich zu machen? In welchem „Stadtteil” von MoSCoW das meiste Potential für Begeisterungsfaktoren und herausstechende Experience steckt, kann so nicht beantwortet werden. Das hängt dann wieder ganz klar am Benutzer. Immer wenn Sie über Standards und Gewohnheiten hinaus denken, kann der entscheidende Unterschied entstehen, um aus zufriedenen Nutzern begeisterte Jünger eines Produktes oder einer Marke zu machen. Holen Sie Ihre Nutzer dennoch richtig ab, indem Sie wichtige Erwartungen erfüllen. 

Apropos: Bei Steffen und Bach nutzen wir die Methode regelmäßig. In komplexen Projekten wie Websites, Softwareentwicklung oder Brandingprozessen strukturieren und bewerten wir Anforderungen zusammen mit den Experience- und Marketing-Verantwortlichen unserer Projektpartner. Gerne kombinieren wir das Prinzip mit detaillierteren Methoden, wie z. B. dem Kano-Modell, wenn wir und unsere Kunden es noch etwas genauer bewerten müssen.

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Über den Autor

Sven Darsow

Sven Darsow ist Senior Designer, Texter und Konzeptioner bei Steffen und Bach. Er ist staatlich geprüfter Grafik-Designer und Diplom-Kommunikationswirt und er bringt mittlerweile fast 25 Jahre Branchen- und Berufserfahrung an den Schreibtisch. Er verbindet in seiner Arbeit Theorie und Praxis, Konzept und Umsetzung, Denken und Design.